Das Märchen von der letzten JagdWie üblich kam Anja ins Zimmer des Großvaters Ivan, um ein neues Märchen zu hören. An der Wand in seinem Zimmer hing ein großes Foto — ein Porträt des jungen Großvaters Ivan in der Militäruniform und auf einem Pferd. Anja mochte sehr dieses Porträt. Der Großvater Ivan sah so schön darauf aus! Und das Pferd sah ihm auch entsprechend aus! Der Großvater Ivan war auch in seinem hohen Alter schön: hoch von Wuchs, mit breiten Schultern, starken Händen und dem grauen flaumigen Schnurrbart. Anja mochte sehr diesen Schnurrbart mit einem kleinen Kamm zu kämmen. Und die Spitzen wickelte sie auf die Finger, wenn der Großvater Ivan es ihr erlaubte. Sie träumten zusammen davon, dass sie Pferde kaufen und reiten werden. Aber diese Träume kamen noch nicht in die Wirklichkeit. Und wenn Anja im Sommer das Fahrrad fuhr, stellte sie sich vor, dass es ihr treues Pferd war! Selbst wenn sie sich mit dem Vater auf das Radfahren bereitmachten, sagten sie: “Auf die Pferde!” Und sich auf das Fahrrad wie auf ein Pferd “auf männliche Weise” zu setzen, hat Anja gelernt, um dann es schneller zu lernen, auf ein Pferd zu springen! … Aber dieses Mal blickte Anja auf das Foto und fragte den Großvater über etwas anderes: “Sag mir, Opa, warst du auf dem Krieg?” “Ich war, Anja. Aber ich werde dir jetzt darüber nicht erzählen. Der Krieg bringt den Menschen viel Leid! Das ist kein Märchen, wenn die Soldaten auf Pferden gegen Panzer reiten, weil die Kommandeure es befehlt haben… Es ist schrecklich und schlecht, wenn es der Krieg ist! … Denn die Menschen und Pferde und andere Tiere werden verstümmelt und getötet… Wie viel schrecklicher Schmerz herrscht während des Krieges!… Auch wenn es ein gerechter Krieg ist, ist es auch keine Freude! Es wäre besser für dich, nie so etwas zu sehen!” Dann überlegte sich Anja und sagte: “Und wir haben mit Jungen im Sommer den Krieg gespielt… Ich habe Freunde — Jungen. Sie mögen die Kriegsspiele. Und ich habe mit ihnen gespielt. Wir haben mit Pistolen und Spielzeuggewehren auf die vorgestellten Feinde zum Spaß geschossen — und gewonnen, natürlich. Es… — es war interessant: sich zu verstecken und im Hinterhalt bewegungslos zu liegen… Also, ist das schlecht, zu schießen und den Krieg zu spielen?” “Überlege dir, Anja, selbst danach und entscheide, ist es gut — oder schlecht? Und warum?” “Erinnerst du dich daran, dass ich dir versprochen habe, über meinen Zauberwunsch zu erzählen?” “Ja, ich erinnere mich. Nun? Erfunden?” “Damals ist es mir nicht gelungen und nun habe ich ausgedacht! Ich würde wünschen, dass der Krieg nie mehr passiert! Kann ein solcher Wunsch wahr werden?” “Einen guten Wunsch hast du ausgedacht, Anja! Nur scheint es mir, dass es nicht genug ist, wenn es nur dein Wunsch bleibt. Um diesen Wunsch zu erfüllen, sollen viele Leute denselben Wunsch haben! Dann wird er bestimmt wahr! … Es ist wichtig für jeden zu begreifen, was das Gute ist, das es möglich und notwendig zu machen ist, und was Schaden den anderen bringt und darum schlecht ist! Wenn es kein Schaden für andere ist, dann ist es möglich zu tun. Und wenn deine Handlungen noch für andere nützlich sind, dann ist es noch besser! Es ist immer sinnvoll, daran zu denken! … Lass mich dir erzählen, wie ich das auf meiner letzten Jagd verstanden habe.” “Warst du auch ein Jäger?” “Ja, ich war, Anja, und sogar wie einer! Die Jagd ist ein bisschen dem Krieg ähnlich. Nur die Jäger denken daran überhaupt nicht und ich habe nicht so gedacht. Es ist mir nicht eingekommen, dass es eine Sünde ist, auf Vögel und Tiere zu schießen! Viele Menschen jagen… Und es ist üblich von den alten Zeiten, darum habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht… Es hat mir gefallen, auf die Jagd zu gehen… Es ist doch so schön: die Nacht im Wald am Lagerfeuer unter freiem Himmel zu verbringen, die Stille der Nacht zu hören, den Sonnenaufgang zu empfangen! Oft verstecken sich die Jäger und sitzen für eine lange Zeit im Hinterhalt, warten, beobachten Vögel und Tiere. Spezielle Plätze macht man sogar, um den Vogel oder das Wild zu erwarten. ‘Ansitz’ nennt man so einen Platz, den ein Jäger speziell macht, damit er alles sieht, aber unsichtbar für alle bleibt. Es ist interessant in so einer Laubhütte zu sitzen, Singvögel zu hören, wie die Sonne aufgeht, zu sehen! So viel Schönheit herrscht am Morgen im Wald! Welche Vögel weißt du, Anja?” … Anja überlegte sich und begann aufzuzählen: “Spatzen, Tauben, Krähen, Stare, Meisen, Gimpel, Enten, Schwäne…” “Nun, wahrscheinlich weißt du noch Gänse?” “Von Gänsen habe ich nur in Büchern gelesen und im Fernsehen gesehen. Und die echten habe ich nicht gesehen.” “Es gibt Vögel, die in der Nähe der Menschen leben. Und ich habe, wenn noch ein Jäger war, eine Menge verschiedener Waldvögel gesehen und ihre schöne Lieder gehört: Auerhähne und Waldschnepfen, Bekassinen und Birkhühner. … Nun, wir haben uns abgelenkt… Ich war damals auf der Entenjagd. Ich saß hinter der vom Schilf gemachten Deckwand und beobachtete lauernd. Da sah ich: einen schönen Enterich schwimmend. Der Enterich — so nennt man eine männliche Ente. Er hat dunkelgrüne wie Smaragd Federn auf seinem Kopf und einen weißen Strich auf dem Hals. Und weibliche Enten — sie sind vollständig mit braunen Federn bedeckt. Schließlich sollen sie unbemerkt bleiben, wenn sie auf den Eiern sitzen und danach sich um ihre Küken kümmern. … So schwamm dieser Enterich, lief mit Pfoten im Wasser durch und bemerkte mich nicht. Ich bewunderte ihn! Sogar dachte ich nach: vielleicht soll ich auf ihn nicht schießen, sondern Mitleid mit so einer Schönheit haben… Und du — was würdest du tun? Würdest du ihn schonen?” “Ja, ich würde!”, sagte Anja zuversichtlich. “Und ich dachte darüber nach und beschloss, dass diese Schönheit in mir so eine Schwäche hervorgerufen hatte! Ich war ein erfahrener Jäger — noch nie war es mir passiert. Die Schönheit ist bestimmt schön, aber meine Beschäftigung ist vor allem zu erfüllen! In meinem Leben habe ich viel Wild erschossen: Birkhühner und Rebhühner und Hasen, war auch auf der Wildschweinejagd und Elchjagd! Und was war es, dass mich so tief berührt hatte? — verstand ich nicht! In der Nähe schossen andere Jäger, wenn nicht ich, dann konnte ein anderer Jäger diesen Enterich erschießen! Die Jagdsaison war schon offen… Zielte ich wieder hin und beinahe drückte ich auf den Abzug — aber da passierte etwas Ungewöhnliches! Möchtest du glauben oder nicht! Statt eines Gewehrschusses flog ich selbst wie eine Gewehrkugel — und fand mich im Körper des Enterichs! Berührte ich mit Pfoten, schwamm auf dem Wasser, aber dachte weiter wie ein Mensch… Aber vielleicht können auch die Enten denken? Das weiß ich nicht… Nur obwohl ich mich in den Enterich verwandelt hatte, erinnerte ich daran, dass ich Jäger wahr und mit Gewehr gezielt hatte. Ich fing an, schneller in den Schilf zu schwimmen — weiter von jener Stelle. Aber im Schilf war ein Boot. Und ein anderer Jäger im Boot zielte auf mich mit seiner Gewehr… So begann ich noch schneller mit Pfoten zu bewegen, mit Flügeln zu flattern! Und – stieg in die Luft! “Also, gerettet!”, dachte ich. Als Mensch konnte ich bestimmt nicht fliegen. Und hier war ich völlig außer Atem vor Begeisterung! Der ganze See war von der Höhe zu sehen, der Wald stand um den See, vom See begann ein großer Fluss aus. So eine Schönheit! Ich beschloss zum Fluss zu fliegen. Aber das war keine gute Idee! “Bum, bum!”, schoss man auf mich… Ich hatte Angst! Aber es war sich nirgendwo zu verstecken: von allen Seiten zielte man auf mich…! Und da — getroffen. Schrecklicher Schmerz im ganzen Körper!… Ich verstand, dass das Ende meines Lebens gekommen war… Ich begann zu fallen… Und verlor das Bewusstsein von jenem Schmerz… … Aber es stellte sich heraus, das es kein Ende war: Ich fühlte mich plötzlich im Körper eines Birkhahnes. Ich war ganz mit schwarzen Federn bedeckt, hatte rote Augenbrauen und kleine weiße Federn auf den Flügeln und auf dem Schwanz. Wenn der Schwanz ausgebreitet wie ein Fächer ist, so kann man diese weiße Federn sehen. Also fühlte ich mich außergewöhnlich schön! … Ich saß oben auf einer Birke, der Birkenzweig beugte sich und schaukelte unter meinem gewichtigen Körper… Ich sah mich um. So eine Schönheit! Es war gleich vor dem Sonnenaufgang, der Himmel war rosa von Sonnenstrahlen, die Sonne aber erschien noch nicht von hinten dem Wald. Hier kam mir der Wunsch zu singen! Es schien nicht besonders nobel zu sein — es war doch Herbst und kein Frühling! Aber das Wetter war einfach zum Singen! Ich beschloss, solange mich niemand sah, auf den Balzplatz zu fliegen und dort ein wenig zu singen! Die Birkhühner, Anja, tanzen und singen im Frühling auf Balzplätzen. Ein Birkhuhnbalzplatz ist ein besonderer Platz, wo sich die Birkhähne am Morgen im Frühling versammeln. Die Birkhennen kommen auch dahin und beobachten singende Birkhähne aus dem Gebüsch, jede Henne wählt einen Hahn für sich. Während meines Jägerlebens habe ich vielmals gesehen, wie die Birkhähne ihre Balztänze aufführen. Ich baute eine spezielle Laubhütte neben einem Gebüsch auf dem Balzplatz, um unauffällig für Birkhühner zu sein, setzte mich hin, wenn es noch dunkel war, und saß ruhig… Und ringsum war die Stille! Die Birkhühner fliegen auf ihren Balzplatz sehr früh, in der Dunkelheit, wenn die Sonne noch nicht aufgeht. So sitzt man in einer Laubhütte — und plötzlich kommen viele Vögel geräuschvoll an, schauen sich um — und fangen auf dem Balzplatz zu laufen und zu hüpfen an, fauchen vor Begeisterung! Und dann beginnen sie zu singen, so dass es schwer mit Wörtern zu beschreiben ist! Und da schreiten sie voreinander, sträuben die Schwänze und führen manchmal Schaukämpfe, um den Hennen zu zeigen, wer am kühnsten ist! Ich habe es viele Male gesehen, aber selbst habe ich nie so gesungen. Und jetzt, im Körper des Birkhahnes war dieser Wunsch so stark!… Und ich sang! Und lief auf dem Balzplatz, aber nicht für lange: es war doch Herbst… Und dann fühlte ich großen Hunger. Ich flog zurück zu den Birken, setzte mich auf einen Zweig, wo es viele Blütenkätzchen gab. Ich pickte so ein Kätzchen – es gefiel mir! Ich pickte noch ein anderes — lecker! Es war ein wenig den Nüssen ähnlich. Du, Anja, kannst auch diese Birkenkätzchen bei einem Spaziergang oder Skifahren im Wald probieren. Die Menschen können sie auch genießen! Aber ich konnte nicht die Blütenkätzchen und das Birkhahnleben in vollen Zügen genießen! Hier zielte ein anderer Jäger auf mich und schoss… Ich erschreckte mich, flog davon… Aber wie?! Der nächste Schuss des Jägers erreichte mich… … Hier war ich als Birkhahn gestorben, aber unerwartet fand mich plötzlich im Körper eines Elches… Ungewöhnlich war es — keine Hände, sondern vier Beine und mächtige Hörner zu haben!… Und neben mir stand auf der Lichtung meine Freundin — eine Elchin. Sie war sehr schön — schlanke, lange Beine, goldglänzendes Fell! Und gingen wir mit ihr nebeneinander durch den Wald spazieren. Also gingen wir und fraßen Gras und junge Zweige mit Blättern und schmiegten uns von Zeit zu Zeit an, um zu zeigen, wie wir uns lieben! Und hier kamen Jäger mit Hunden… Wir rannten und rannten… aber nur wurde meine Freundin verletzt… Und dann — getötet… Ich hielt sogar zu rennen an: lass mich auch getötet oder bei Hunden genagt werden! Denn ich kann nicht ohne meine Geliebte glücklich sein! Es tat mir so leid für sie, meine Elchin – einfach zum Weinen! … Und plötzlich erinnerte ich mich an mein menschliches Leben, meine Frau Akulina: und wenn sie auch von jemandem getötet würde – einfach so, für nichts?!… … Hier erschien ich wieder in meinem menschlichen Körper. Saß ich in meinem Ansitz, der Enterich schwamm vor mir und fühlte keine Drohung… Also habe ich damals auf den Abzug meines Gewehrs nicht gedrückt. Und ich war sehr froh darauf, dass ich nicht geschossen hatte! Ich entlud das Gewehr so schnell wie möglich — und ging nach Hause! Nun, eine Menge Pilze habe ich, wie üblich, unterwegs gesammelt. Akulina wunderte sich: “Wieso kommst du von der Jagd mit Pilzen?” “… Und ich versteckte ein Lächeln im Schnurrbart. Nun, wie ich ihr sagen würde, dass ich sie, meine Akulina, so stark liebe, wie der Elch seine Elchin geliebt hat! Und vielleicht noch stärker! Und darum werde ich nie mehr mit einem Gewehr in den Wald gehen! Die Tiere und Vögel werde ich nie mehr erschießen! Später habe ich Akulina alles über meine Abenteuer erzählt. Und sie hat Suppe mit Pilzen und Kartoffeln gekocht, Pfannkuchen gebacken und sagte: “Es gibt doch nichts mehr lecker als diese Mahlzeit! So werden wir weiter leben: vom Gemüsegarten und von den Gaben des Waldes!” … Solche Erlebnisse hatte ich, Anja! Seitdem schieße ich auf niemanden!” “Also ist es immer schlecht — zu schießen und zu töten?” “Immer besser, ohne es auszukommen! Nur es kann passieren, Anja, dass es nötig ist, andere gute Leute von Übeltätern zu verteidigen. Und dann kann man nichts anderes ausdenken…” “Aber auf Vögel und Tiere ist es möglich niemals zu schießen, sondern sie einfach bewundern! Möchtest du, dass ich meinen Vater darum bitte, dir eine Kamera zu schenken? Er hat doch zwei!” “Danke, Anja, für deine Sorge! Aber es wird mir jetzt schwierig sein, fotografieren zu lernen. Aber du lerne das! Du wirst Bilder von Vögeln, Tieren und verschiedener Schönheit der Natur machen! Und daran, wie es zu leben und niemandem zu schaden ist, hast du richtig zu denken angefangen! Und versuche immer gutmütig zu handeln! Wenn jeder Mensch daran von der Kindheit denken und mit guten Absichten im Leben handeln wird, dann es vielleicht, wenn du groß sein wirst, keine Kriege geben werden! Und die Menschen werden keine Tiere vergeblich töten! Und alle werden im Frieden und Glück leben!” Es wird fortgesetzt… |