Wladimir Antonow

Warum sind die Kinder verschieden?


W.W.Antonow

Mir sind jetzt zwei Kinder in Erinnerung gekommen.

Einmal war ich irgendwo zu Gast. Es gab dort viele Menschen, darunter Familien mit Kindern — Verwandte waren zu einer Feier zusammengekommen.

Da sitze ich also auf dem Teppich. Auf den Teppich krabbelt ein kleiner Knirps, rutscht an mich heran und küsst mich auf die Backe — innig und stark! Er überschüttete mich geradezu ganz mit Liebe! Mit solch herzlicher Liebe gab er den Kuss! Wenn ich nicht seine Biografie kannte, hätte ich gedacht, er hatte unsere Schule besucht. Denn ich hatte solche Kinder außerhalb unserer Schule nie erlebt.

Nun ein anderes Kind. Ich begegnete ihm mehrere Male auf der Straße in Petersburg. Er war wohl um die fünf. Sein Blick war voller Hass — unheimlich, durchdrungen von Hass gegen alles und gegen alle. Wobei dieser Blick und dieser diabolische innere Zustand für ihn stets charakteristisch waren.

Ich traf ihn das erste Mal, als er einem seiner Altersgenossen die Mütze vom Kopf riss. Unsere Blicke trafen sich, er überschüttete mich mit seinem Hass und lief fort.

Das zweite Mal sah ich ihn mit einem Messer jemandes Auto kratzen. Erneut trafen sich unsere Blicke, es war wieder derselbe Hass, und wieder lief er fort.

Nun also zwei Extreme.

Ich hörte einmal den Gedanken, dass alle Kinder kleine Engelchen seien, wir sollten wie Kinder werden usw. Wie welche Kinder?...

Als Jesus sprach: “Werdet wie die Kinder”, hatte Er eine konkrete Eigenschaft der besten Kinder im Sinn: die seelische Aufgeschlossenheit (dies wird verständlich nur aus dem Kontext und aus anderen — apokryphen — Evangelien). Er rief Seine Hörer dazu auf, ihre Seelen in gefühlsmäßiger Liebe voreinander zu “öffnen”, zu “entkleiden”. Denn diejenigen, die es nicht voreinander tun können, sind nicht dazu fähig, es vor Gott zu tun.

Jesus sprach von guten, herzlichen, aufrichtigen Kindern. Es gibt aber auch boshafte und gefühlsrohe Kinder, extrem egoistisch, lügenhaft, Kinder, die andere Menschen so ansehen, als wären sie gefangen genommene kleine Bestien.

Warum denn sind Kinder mitunter so verschieden?

Diese Frage wird bereits seit Jahrzehnten von der “westlichen” materialistischen Wissenschaft untersucht. Die Wissenschaftler nehmen, jeder nach seinem Arbeitsprofil, den einen oder anderen Faktor heraus, der die psychische Entwicklung des Kindes beeinflusst.

Die Genetiker sprachen von der Rolle der Gene: dass die Charakterzüge angeblich genau so vererbt werden wie die Farbe der Augen und Haare und andere Merkmale des Körpers.

Embryologen, Geburtshelfer und Perinatologen suchten die Ursachen im Einfluss von Hormonen, Stresserlebnissen der Mutter, einer fötalen Hypoxie, Geburtstraumata, verschiedenen Intoxikationen usw. auf die sich formenden Gehirnstrukturen des Fötus.

Psychologen und Psychiater stellten diverse soziale Faktoren in den Mittelpunkt, vor allem den Charakter der Beziehungen des Kindes zur Mutter in bestimmten “kritischen” Phasen seiner Entwicklung. Unter anderem wurde klar demonstriert — sowohl bei Forschungen an Kindern als auch bei Tierversuchen -, dass eine Beeinträchtigung der harmonischen Wechselbeziehungen mit der Mutter in bestimmtem Alter zur Ausprägung einer erhöhten Aggressivität in den folgenden Jahren führt. Zu Sozialisierungsstörungen führt auch das Ausbleiben eines angemessenen Kontaktes zu Gleichaltrigen in der Kindheit. [1]

Zur Bewertung des Gesagten sei angemerkt, dass alle diese Faktoren in der Tat eine Rolle spielen.

So können auch genetische Einflüsse wirken, etwa durch genetisch bedingte Besonderheiten der Entwicklung und Funktion des hypothalamo-hypophysär-adrenalen endokrinen Komplexes. Wenn dieses System die Fähigkeit hat, mehr Adrenalin und Noradrenalin zu produzieren und ins Blut abzusondern, dann erweisen sich solche Organismen als aktiver in üblichen und in extremen Situationen; dies kann auch eine Prädisposition (aber nicht Vorherbestimmung!) zu verstärkt aggressivem Charakter erzeugen.

Ohne Zweifel können auch verschiedene der Fötusentwicklung schadende Faktoren “Schieflagen” in der Entwicklung von Gehirnteilen oder inneren Sekretionsdrüsen hervorrufen, was sich auf die eine oder andere Weise auf die emotionalen Merkmale im erwachsenen Leben auswirkt. Verschiedene Gehirnstrukturen, die für verschiedene Funktionen verantwortlich sind, formen sich embryogenetisch zu verschiedener Zeit. Hierbei ist jede von ihnen gerade in diesen kritischen Perioden ihrer Herausbildung beim Fötus besonders anfällig für Schadfaktoren. Deshalb führt ein und derselbe Schadfaktor, der in verschiedenen Entwicklungszeiträumen auf den Fötus einwirkt, zu verschiedenen Verletzungen, die mitunter erst im erwachsenen Zustand des jeweiligen Individuums zum Vorschein kommen. [1]

Auch der soziale Faktor ist im frühen Alter tatsächlich von sehr großer Bedeutung. So treten bei einem Kind, der im Alter zwischen 6-7 Monaten und 3 Jahren den negativen emotionalen Stress im Zusammenhang mit der Trennung von der Mutter bzw. Ersatzmutter erlebt, dann im erwachsenen Leben in dem einen oder anderen Grad psychopathische Merkmale einschließlich erhöhter Aggressivität zu Tage. Erhebliche emotionale und behaviorale Abweichungen entstehen auch beim Ausbleiben eines angemessenen (d.h. unbefangenen und naturgemäßen) Kontaktes zu Gleichaltrigen in der Kindheit. [1]

Doch der wichtigste Grund, weshalb die Kinder bisweilen so verschieden sind, bleibt nach wie vor jenseits des Interessenkreises der materialistischen Wissenschaft. Er besteht darin, dass nicht nur die Körper verschieden sind, sondern auch die Seelen, die in diese Körper kamen. In diese Kindskörper sind denn auch Menschen gekommen, die früher schon “Erwachsene” waren — die meisten von ihnen bereits viele Male. Und sie brachten dabei die schon in ihrer Vorgeschichte entwickelten Charakterzüge und sonstigen Eigenschaften mit.

Das Gesagte bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere. Gerade das erklärt, warum sowohl Tierversuche als auch Forschungen an Menschen zeigen, dass gleiche Schadeinwirkungen dennoch nicht zu gleichen Ergebnissen bei verschiedenen Individuen führen.

Stellen wir uns als Beispiel zwei Menschen vor. Der eine war in seinem vorherigen Leben bereits heilig, der andere hingegen ein Teufel. Ein gleichermaßen erhöhter Spiegel adrenaler Hormone in ihren gegenwärtigen Körpern ergibt bei ihnen jeweils einen gegenteiligen Effekt. Der Erstere wird sich noch intensiver dem spirituellen Dienen widmen, der andere indes wird sich mit gleicher Tatkraft mit Raub und Mord beschäftigen.

Bei allem Gesagten ist noch zu bedenken, dass die Inkarnierung in einen Körper, der die einen oder anderen Eigenschaften aufweist, durch Gott bestimmt wird. Deshalb kann es hier keine “unerfreulichen Zufälle” geben. Bei Gott wird alles so geplant und erfüllt, um dem sich inkarnierenden Wesen die besten Möglichkeiten zu weiterer Selbstvervollkommnung zu geben.

Sie werden fragen: Kann ein verkrüppelter und missgestalteter Körper denn wirklich irgend jemandem bei der Entwicklung helfen? Ich antworte: ja. Beispielsweise jemandem, der früher machtbetrunken war und andere hart misshandelte und ihre Körper verstümmelte: Für diesen Menschen ist es angebracht, jetzt selbst zu leiden, damit er lernt, was Schmerz und Leid ist, und dadurch lernt, mit anderen Mitleid zu haben.

Was nun die Inkarnierung moralischer Scheusale angeht, so brauchen wir hier auf der Erde auch und gerade Missetäter, damit für verschiedenartige Lebenssituationen gesorgt ist und damit wir so aneinander Psychologie lernen. Ihr Los ist eine weitere Degradierung — bis ganz auf den Grund — so lange, bis manche von ihnen dort, am Boden, am eigenen Leid zur Besinnung kommen und damit beginnen, nach einem Ausweg hin zum Licht zu suchen.

Und nun bleibt es uns, noch einen weiteren Faktor zu untersuchen, der sich auf die Entwicklung des Kindes auswirkt: die Erziehung. Gerade diese ist am relevantesten für eine Auswertung an spirituellen Schulen, an denen auch mit Kindern gearbeitet wird.

Ich erinnere mich, einmal folgende Szene beobachtet zu haben: Der Papa, ein anständig gekleideter, athletisch gebauter und anmaßend selbstsicherer Mann von 50 Jahren, war gerade dabei, seiner 10-jähigen Tochter “Lebensunterricht” zu erteilen. Sie standen in einer Parkallee, und der Papa, auf die vorübergehenden Menschen zeigend, “erläuterte” der Tochter, der und der sei ein Schurke, und der da sei irgendeine Kanaille. Das arme, aufmerksam zuhörende Mädchen dürfte die hassvollen “Lehren” ihres Vaters sicherlich jahrelang behalten haben. Erst im Alter von etwa 20 Jahren erlangen viele (doch bei weitem nicht alle) Menschen die Fähigkeit zur Neubewertung all dessen, was ihnen früher von Erwachsenen beigebracht wurde.

Mithilfe einer zielgerichteten Erziehung kann man einem Kind ganz wesentlich schaden oder helfen. Man kann ihm beibringen, alles um es herum zu verachten und zu hassen, oder aber umgekehrt, dass man alles Lebende lieben soll, dass Liebe und Harmonie gut sind, dass Gott von uns will, dass wir gerade so werden, usw.

Eine richtige Kindererziehung ist ein zentraler Faktor bei der spirituellen Unterstützung eines Menschen, eine lobenswerte und sehr interessante Art des spirituellen Dienens.

Es ist auch ein Weg, sich selbst in aktiver Liebe und intellektueller Kreativität zu entfalten.

* * *

Betrachten wir jetzt noch einmal die Grundprinzipien spiritueller Erziehung von Kindern.

Nach dem Hauptprinzip der aktiven Einprägung der Idee der Liebe (vor allem das will von uns Gott!) ist zunächst einmal die Ausweitung des Gesichtskreises hervorzuheben. Wir sollten im Gedächtnis der Kinder verschiedene Programme dafür begründen, welche Lebenswege sie in Zukunft, wenn sie herangewachsen sind, gehen können. Man muss ihnen zeigen, dass es auch das Schach gibt, die Tempel verschiedener Religionen, die Natur, die man lieben kann und sollte, Methoden der Körperabhärtung, Möglichkeiten einer Selbstentfaltung durch Malerei, Musik, Tanz, Fotografie und verschiedene (gerade verschiedene!) Sportarten, aber auch sehr interessante und vielfältige Bildungsmöglichkeiten, und dass man durch all das auch anderen Menschen dienlich sein und ihnen so die eigene Liebe schenken kann.

Erziehen kann man unter anderem auch am Beispiel der Handlungen erwachsener Menschen, wenn Kinder in einer ungezwungenen Situation zu Zeugen von Aktivitäten einer spirituellen Schule werden, wo ihre Eltern lernen. Eine andere Variante sind Fachzirkel und Arbeitsgemeinschaften für Kinder verschiedenen Alters.

Zugleich muss man daran denken, dass es Problemfragen gibt, die dem kindlichen Denken im Grunde noch nicht zugänglich sind. So sollen etwa Informationen über die Existenz nichtverkörperter Lebensformen ihnen in einer Form und in einem Umfang dargebracht werden, dass dies bei ihnen keine mystische Angst erzeugt. Mystische Angst kann zur Grundlage für ernsthafte entwicklungshemmende Psychopathologien werden.

Man darf den Kindern auch keine vertieften Meditationspraktiken lehren, damit sie sich nicht “verirren” und den angemessenen Kontakt zur materieller Ebene nicht verlieren. Es gilt zu bedenken, dass jeder Mensch sich zunächst in der materiellen Welt entwickeln soll; erst danach kann er erfolgreich und gefahrlos den ernsthaften religiösen Weg gehen.

Man muss die Kinder auch unbedingt vor den Versuchen verschiedener ignoranter Mystiker schützen, sie in den Umgang mit Wesen der Astralebene in Form von Spiritismus, Kontakt mit “Außerirdischen” usw. hineinzuziehen, ebenso vor einer Einbeziehung in hexerische, magische und okkultistische Experimente. Eine Beteiligung von Kindern und auch von Erwachsenen an derartigen Aktivitäten ist bei ihnen der gerade Weg in ernsthafte psychische Pathologien.

Sehr wichtig ist es auch, den Kindern das Denken zu lehren, indem man sie dazu in Situationen anregt wie etwa das Passieren eines Bachs im Wald oder wie man ein Lagerfeuer errichten kann, ohne auch nur einem Lebewesen zu schaden, usw. Oder man kann einem Kind in spielerischer Form verschiedene Erläuterungen für ein und dasselbe Ereignis oder Phänomen vorschlagen, damit es durch Erwägung die richtige davon wählt oder sogar selbst die richtige Lösung findet. Oder man stellt Kindern Fragen nach dem Warum, damit sie lernen, selbst nach Antworten zu suchen, anstatt diese in fertiger Form von Erwachsenen zu erhalten. Und so weiter.

Beim Umgang von Kindern untereinander in Gruppen sollte der Lehrer wohlwollend aber dezidiert allen Anzeichen lasterhafter Tendenzen wehren, darunter Aggressivität oder der Neigung zur Aneignung fremder Sachen, seien diese noch so geringwertig. Kinder behalten gut beispielsweise Formeln wie: “Jesus Christus lehrte, dass man einem anderen nicht tun darf, was du dir nicht selbst wünschst”, oder: “Wer ohne Erlaubnis fremdes Eigentum nimmt, nennt sich ein Dieb. Und ein Dieb ist ein sehr unguter Mensch”, oder: “In einem sehr guten Buch — es heißt ’Das Neue Testament’ — steht geschrieben: Seid bruderliebend zueinander mit Herzlichkeit. Ist das, was du jetzt getan hast, etwa der Herzlichkeit ähnlich?” Usw.

Eine enorme erzieherische Rolle können auch einige einfache Meditationsübungen spielen. Zum Beispiel: Jeder stellt sich eine liebevolle Sonne in seiner Brust vor, und alle laufen umher und strahlen das visualisierte Sonnenlicht zueinander aus.

* * *

Wenn ein Kind gelegentlich keinen Appetit hat, reden die Eltern ihm gut zu: „Iss doch noch ein Löffelchen für Mama, jetzt für Papa, und noch eines für Oma...

Haben Sie vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, was dieses “Für” hier bedeutet?

Iss doch “für” irgend jemand, trink doch “für” jemand...

Was bedeutet dieses “Für”, das Menschen so oft wiederholen, ohne zu überlegen?

“Für die Gesundheit”? Aber wie kann sich irgendjemandes Gesundheit ändern, wenn ein ganz anderer Mensch etwas isst oder trinkt?

“Zu Ehren”? Das sieht aber, wenn man richtig überlegt, noch absurder aus.

“An Stelle von”? Auch albern.

... Ich möchte jetzt mal scherzenshalber eine andere Formel vorschlagen, wie man Kinder bei schlechtem Appetit herumkriegen kann. Erzählen Sie dem Kind zunächst, dass Gott “sooo groß” ist! Größer als die ganze Erde und der ganze Sternenhimmel, den wir von der Erde aus beobachten. Und auch wir sollten versuchen, genauso groß zu werden. So will Er es.

Und wie ist Er so groß geworden? Das geschah deshalb, weil er sooo viel aß...

 

Literatur*

  1. Antonow W.W. — Wie erkennt man Gott. Die Autobiografie eines über Gott forschenden Wissenschaftlers. (In Russisch). Polus Verlag, SPB, 1999.

 

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